Freitag, 18. Januar 2013

Kelp

Manchmal frage ich mich, wieso es so viele Menschen gibt, die auf eine Weise anders sind als ich - auf eine Weise, die ich nicht nachvollziehen kann. Vorstellen ja, aber tatsächlich nachvollziehen wohl nicht. Menschen, denen so viele Dinge überhaupt nichts bedeuten, die für mich sehr wichtig sind. Die von diesen Dingen möglicherweise nicht einmal wissen. Doch sind ihnen andererseits Sachen wichtig, die ich eher unter "weniger bedeutungsvoll" gespeichert habe.

Ich sagte vor kurzer Zeit, die Welt sei manchmal zu schnell für mich. Jemand hat mir zugestimmt und das war sehr schön. Doch ich habe das Gefühl, viele Menschen wollen eher, dass die Welt noch schneller wird. Doch wie soll das gehen?
Vor vielen Jahren habe ich oft davon geträumt, bei einem Ureinwohner-Stamm zu leben. Bei Hirten. Oder allein in einer Hütte im schwedischen Wald. Ich wusste, dass diese Träume sehr unrealistisch waren. Aber schön fand ich die Vorstellung doch immer, obwohl ich nie genau wusste, warum.
Noch heute faszinieren mich solche Lebensmodelle; ob ich irgendwann tatsächlich näher mit der Natur zusammen leben werde? 

An unserer Gesellschaft mag ich das ewige Streben nach Macht, Geld, Ruhm und Wachstum nicht. Sie wollen immer mehr, egal zu welchem Preis. Doch wozu soll das gut sein? Letztendlich bleibt die Leere, die Einsamkeit, egal wie "gut" es einem geht, denn was ist der Mensch ohne den Bezug zur Natur, ohne authentische, bleibende und liebevolle Beziehungen zu anderen Menschen, ohne einen persönlichen Sinn, ohne das Gefühl, hier sein zu dürfen - genau so wie man ist, ohne lieben zu können, ohne akzeptieren zu können, ohne sein zu können?

Vor nicht langer Zeit habe ich einen Ausschnitt einer Dokumentation gesehen. Dort war ein Mann, der irgendwo sehr weit weg Kelp geerntet und verarbeitet hat. Kelp ist eine Alge, deren Blätter man laut dieser Menschen vorzüglich verzehren kann. So fuhr dieser Mann mit einem anderen Mann regelmäßig mit einem winzigen Boot auf dem Wasser herum um Kelp zu ernten, das dort einfach so wächst. Es sind Stränge mit vielen Blättern dran, die nachher aufgehängt, getrocknet und verpackt (zum Verkauf) oder gegessen (von ihm, seiner Familie und der Umgebung) werden. Der Mann hat da so vor sich hingearbeitet, in Ruhe und Frieden, seine Frau hat man beim Verpacken des Kelps gesehen, sie war ebenfalls ruhig, konzentriert und alles andere als hektisch. Beim Aufhängen des geernteten Kelps sagte der Mann in etwa: "Ich könnte mehr produzieren und somit mehr Gewinn machen. Aber das will ich nicht."
Das war so schön! Er hätte viel mehr verdienen können, die Produktion erweitern, Menschen anstellen, doch wozu? Er hat seine Ruhe, kann vor sich hin arbeiten, es genügt ihm. Oh, ich wünschte mehr Menschen würden so denken!

[Ein wenig aus dem Zusammenhang gerissen:] Nun, natürlich macht es Sinn, dass nicht alle Menschen gleich sind. Denn das wäre ja seltsam. Und vielleicht würde die Welt so auch gar nicht funktionieren. Aber durch diese Unterschiede ist es manchmal schwer, sich nicht einsam zu fühlen.

2 Kommentare:

Phil hat gesagt…

Oja, dein Text, ich kann ihn so nachvollziehen.

Leider ist unser ganzes System darauf ausgerichtet, Profit stets zu maximieren. Da kann man einzelnen Individuen nicht mal wirklich die Schuld für ihr Handeln geben...

Blumenfräulein hat gesagt…

Dies macht es leider für den Einzelnen so schwer, anders zu leben und anders zu denken, auch wenn man es will.
Dadurch, dass wir alle damit aufwachsen, fällt es später sehr schwer, sich davon innerlich zu distanzieren, das fällt mir bei mir selbst immer wieder auf...